Minimal Green
August 2011, Schlossplatz Berlin
Foto: Ronald A. Laub, Text: Florian Plieur
Mitwirkende: Bettina Wagner, Nathalie Fari, Juliana Piquero, Thomas Pertzel im Wechsel mit Jan Tilman Schade (Musik), Catalina Fernández (Video)
Was bleibt denn da...
Ich liebe es, einen Fuß vor den anderen zu setzen und Boden unter meinen sich abrollenden Füssen zu spüren. In der Natur ist es die Erde, die den Duft von Regen, Sonne und Keimen in sich bewahrt, in der Stadt ist es der Asphalt, der all die Widrigkeiten, Glücksmomente und Veränderungen unserer Zivilisation ausstrahlt. Beides berührt mich, während ich in den offenen Raum gehe, Schritt für Schritt, ohne zu wissen, was kommt, das Abwesende und mein Körper tragen mich in meinem Vorwärtsschreiten.
Im Mai 2011 ging ich spazieren durch Berlins Mitte. So traf ich am 14. Mai am Nachmittag, unverhofft am Schlossplatz, damals noch eine große saftiggrüne Rasenfläche, auf vier Personen in Aktion. Drei Frauen, zwei bekleidet in maiengrünen Overalls, eine in einem blauen Overall, ein Mann ganz in Weiß mit einem Saxophon. Ich wunderte mich, blieb stehen setzte mich auf die lange Sitzbank am oberen Rand der Rasenfläche und schaute dem Treiben der vier zu.
Die eine hatte einen pinkfarbenen Kinderspaten, welcher kontrastreich zu dem Grün ins Weite leuchtete. Sie grub eifrig die Außenlinien eines großen Rechtecks ab. Sie wurde immer schneller, bis zur Erschöpfung - plumps da lag sie wie ein Maikäfer auf dem Rücken. Sie rappelte sich wieder auf und frei nach dem Motto nicht verzagen, setzte sie ihr Graben fort.
Die andere in grün, wie ein Gegenpol zur grabenden Geschwindigkeit, hielt ein pinkfarbenes Eimerchen in die Weite des Himmels und sammelte die Luft oder war es die Unendlichkeit der uns umgebenden Unbestimmtheit? Sie sammelte langsam, sehr langsam und bewegte sich in das Feld hinein auf einer verborgenen Linie, manchmal klapperte sie mit dem Henkel ihres Eimers, als ob sie Signale verstreute, ein anderes Mal schüttete sie den Eimer aus, genug vom Unbestimmten, fragte ich mich.
Während ich versuchte ihre verborgene Linie zu erahnen, durchkreuzte auf dem Boden rollend die dritte das Feld, ohne ein „Pinkobjekt“, pur blau gekleidet, blau wie das Wasser oder die berühmte blaue Blume der Sehnsucht. Sie rollte über die ganze Fläche des Rechtecks, welches durch vier weiße, große Kieselsteine in dessen vier Ecken markiert war. Sie drückte sich in den Boden, wie das fließende Wasser aus einer Gießkanne. Der Mann in Weiß mit dem Saxophon lief einmal horizontal, einmal vertikal durch das Feld, über die markierten Seitenlinien des Rechtecks hinaus. Er kam uns Zuschauern sehr nahe, manchmal stand er zwischen uns. Es war der Klang seines Saxophons, welcher uns Anwesenden in diesem Moment gleichzeitig umarmte und die uns vertraute dritte Wand des Theaters aufhob.
Während er unbeirrt, ruhigen Schrittes, Saxophon spielend, die Spuren eines Kreuzes erkennen ließ, Vertikale kreuzt Horizontale, fragte ich mich, welches Kreuz gemeint war. Ging es um das kleine entscheidende Kreuz auf dem Lottoschein zum großen Gewinn oder um das christliche Kreuz - die Last die ein jeder trägt?
Warum fängt unser Verstand immer geschwind an in allem Symbole, Zeichen zu sehen?
Die langsamen, sehr langsamen Bewegungen der Frau mit dem Eimer ließen meine Gedanken einfach dahin ziehen.
Die Frau mit dem Spaten verlegte, nachdem sie alle vier Seiten abgegraben hatte, die Ecksteine weiter in eine Richtung. Das Rechteck wurde „gewandert“ und das Abwesende, was gerade noch ein Anwesendes war, blieb als Rasenspürchen. Die Frau mit dem Eimer nahm diesen von Zeit zu Zeit vor ihr Gesicht ohne in diesem Moment vorwärts zu gehen.
Das Verblüffende war, dass der übergestülpte Eimer verstärkt durch das Leuchten des Pinks nun eine Linie in den Raum warf. Ihr Blick war verborgen und ich als Zuschauer wusste nicht, ist es ihre gewollte Linie oder sah ich nur diese Linie in die Ferne schweifen. Es war beruhigend, dass sich die Handlungen auf dem verschobenen Rechteck wiederholten. Ich verlor meine Angst etwas zu verpassen, eiligst eine Deutung parat haben zu müssen. Ich war vielmehr erstaunt, wie neu bereits Gesehenes war, wenn ich mich dem Zeitfluss hingab.
Der Himmel zog sich zu, Wind stieg auf, die Kieselsteine, welche sich jetzt ganz offensichtlich als Papiersteine entpuppten, wirbelten durch die Luft. Ein Mann rannte ihnen nach, verankerte sie neu an ihrem Platz, doch der nächste Windstoß packte sie wieder und jagte sie über den Schlossplatz. Bei zunehmend verdunkeltem Himmel wirkten die Bewegungen, das Rollen der Frau in Blau wie der verzweifelte Kampf gegen das Ende der Welt. Weltuntergangsstimmung von Jetzt auf Gleich, heroisch kamen sich die beiden grün gekleideten Frauen auf der unteren Außenlinie des Rechteckes entgegen im Stechschritt – doch auch sie beugten sich dem einsetzenden, flutartigen Regen. Das Feld wurde geräumt. Es blieb das Angebot im Falle von Regen würde eine Wiederholung am 28. Mai stattfinden.
Ich war auch das zweite Mal dabei, in einer Abendstimmung, wie sie nicht besser gepasst hätte. Goldene Abendsonne, lange Schatten auf der Erde, auf dem Schlossplatz, der heute eine Baustelle ist. Heute ist auch der Eindruck vom Mai 2011. Es bleibt die Gewissheit, dass im Anwesenden immer ein Stück Abwesendes mitschwingt, ob nährend, beglückend, verstörend, bedrohlich, herausfordernd, ist eine Frage der eigenen Sichtweise.